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    II. Geschichte des Teppichs

    Erstmals erwähnt wird die Existenz des Teppiches für ein so großes Werk überraschend spät, nämlich erst 1476 im Inventar der Kirche von Notre-Dame zu Bayeux. Wir erfahren, daß der Teppich zu bestimmten Festen rund um das Kirchenschiff ausgehängt und auf diese Weise zur Schau gestellt wurde . Eine frühere Handschrift von 1463 beschreibt zwar Ausbesserungsarbeiten an einem Teppich in der Kathedrale, allerdings ist nicht sicher zu sagen, um welches Stück es sich handelt. Nach dem 15. Jahrhundert verstummen die Quellen rund um den Teppich von Bayeux wiederum, obwohl die Kirche selbst mehrere Male schriftliche Erwähnung findet.

    Erst im 18. Jahrhundert kommt es durch eine Art Bilderrätsel eher zufällig zu einer Wiederentdeckung des Teppiches: Ein gewisser Monsieur Lancelot, der als Mitglied der "Académie Royales des Inscriptions et Belles-Lettres", also der Akademie für Handschriften und Literatur, besonderes wissenschaftliches Ansehen genoß, war über einen Freund auf eine merkwürdige Skizze gestoßen. Diese Zeichnung aus der Sammlung eines früheren normannischen Intendanten stellte Ausschnitte aus dem Teppich von Bayeux dar, der dem Akademiker aber zu dieser Zeit nicht vertraut war. Lancelot verfasste daher ab 1724 einige Briefe an Wissenschaftler und Kirchenvertreter, um dem Ursprung dieser Skizze auf den Grund zu gehen, von dem er nicht wußte, ob "diese Skizze ein Basrelief oder eine Skulptur um den Chor einer Kirche oder eines Grabes darstellt, ob es ein Fresko ist, ein Gemälde über das Glas mehrerer Fenster oder vielleicht ein Teppich". Lancelot mußte aber frustriert feststellen, daß seine Briefe auf kein Echo stießen.


    Don Bernard de Montfaucon.

    Erst durch den Einsatz eines weiteren Gelehrten kam der Stein um die Neuentdeckung des Teppiches wieder ins Rollen. Der Paläograph Don Bernard de Montfaucon (1655 - 1741) war auf die Forschungen Lancelots aufmerksam geworden und hatte aus dem normannischen Ursprung der Skizze die richtigen Schlüsse gezogen. Er ging davon aus, daß es sich bei der Abbildung um ein in der Provinz bekanntes Werk handeln müßte, und nutzte seine Kontakte zu den Benediktinern, deren Orden er angehörte.
    Im Oktober 1728 hatte Montfaucon die Gewißheit, daß es sich bei der Skizze um einen kleinen Ausschnitt aus einem Teppich handelte, der in der Kathedrale von Bayeux aufbewahrt wurde. Im folgenden Jahr publizierte Montfaucon die bereits als Skizze vorhandenen Teile in der Monuments de la Monarchie francaise und schickte einen Zeichner nach Bayeux, um auch den Rest des Teppiches zu kopieren. Auch Lancelot verfolgte die weitere Entwicklung mit Interesse. 1730 ließ er sich die Kopie der Inschriften auf dem Teppich vom Bischof von Bayeux bestätigen und verfaßte einen Brief an die Akademie, in dem er die Bedeutung des Werkes hervorhob.


    Montfaucon publizierte 1728 einige Zeichnungen des Teppiches in seinem Werk Les Monumens de la Monarchie Françoise.

    Die nun eingeleiteten Forschungen erweckten auch außerhalb Frankreichs Interesse an dem mittelalterlichen Werk, vor allem in England. Der Altertumsforscher William Stukeley (1687 - 1765) bezeichnete den Teppich 1746 in seiner Paleographia Britannica als ein "außergewöhnlich seltenes und kostbares Dokument zur Geschichte Englands". Stukeleys Landsmann, der Archäologe Andrew Ducarel, machte sich 1752 nach Frankreich auf, um den Teppich zu studieren. Noch in dieser Zeit wurde das Werk alljährlich zu bestimmten Festen im Kirchenschiff ausgehängt, ansonsten im aufgerollten Zustand in einer der Südkapellen aufbewahrt.

    Fast vernichtet wurde der Teppich im Revolutionsjahr 1792, wie wir aus den Archiven der Stadt Bayeux wissen. Als sich Milizen in der Stadt sammelten, um ins Feldlager zu ziehen, fehlten ihnen offenbar Planen für die Pferdewagen. Die erstaunlich kulturlose Idee, zu diesem Zweck den jahrhundertealten Teppich aus der Kathedrale zu verwenden, wurde in letzter Minute von dem Advokaten und Mitglied der Stadtverwaltung Lambert Léonard-Leforestier verhindert. Der mutige Beamte setzte sich mit dem Mob auseinander, ließ den Teppich von dem Wagen entfernen und zur sicheren Verwahrung in sein Büro bringen. Nach den Unruhen ging das Werk wieder in die Obhut der Stadt zurück.

    Das bedeutete aber noch nicht, daß das Kunstwerk nun sicher gewesen wäre. Nur zwei Jahre später wurden in vielen Teilen Frankreichs Kunstkommissionen eingesetzt, die die nach den Revolutionswirren verbliebenen Werke sammeln, katalogisieren und schützen sollten. Diese Kommission konnte gerade noch verhindern, daß der Teppich auseinandergerissen wurde, um einen Festwagen anläßlich einer Parade zu einem öffentlichen Feiertag zu schmücken. Nach einigen bürokratischen Winkelzügen konnte der Teppich schließlich gerettet, sorgfältig gesäubert und in ein Depot überführt werden.


    Die Kathedrale von Bayeux.

    Nach der aufwendigen Rettungsaktion war es verständlich, daß die Stadtoberen das Kunstwerk nur sehr unwillig wieder herausgaben. So kostete es die Mitarbeiter des Innenministers 1803 einige Überredungskunst, die Gemeinde von Bayeux davon zu überzeugen, den Teppich für eine Ausstellung in Paris herauszugeben. Kein anderer als der Erste Konsul selbst, Napoleon Bonaparte, hatte den Teppich angefordert. Die Kunstkommission widmete den Bürgern von Bayeux einige Worte: "Es steht uns nicht an, daran zu zweifeln, daß inmitten der gewaltigen Vorbereitungen, die gegenwärtig im Gange sind, der Anblick dieses berühmten Denkmals in der Hauptstadt den allgemeinen Enthusiasmus unterstützen und die Begeisterung des Volkes heben wird."

    Es liegt nahe, daß die auf dem Teppich beschriebene Eroberung Englands durch französischsprechende Truppen eine besondere Faszination auf Napoleon ausgeübt hat. Er ließ es sich jedenfalls nicht nehmen, das Kunstwerk persönlich zu studieren. Berichten zufolge hatte besonders die Episode mit dem Kometen seine Aufmerksamkeit geweckt, zudem ein ähnliches astrologísches Ereignis zu diesem Zeitpunkt stattfand. Die Pariser Bevölkerung kam im Scharen ins Musee Napoleon, um das Werk zu besichtigen. Eigens für die Ausstellung war ein kurzes Theaterstück geschrieben worden, das ebenfalls großen Zuspruch fand.

    Nachdem Napoleon sein Interesse von England abwendete und sein Augenmerk auf der Expansion des Reiches nach Osten richtete, verlor er das Interesse an dem Teppich. Das Werk wurde daher mit einem Dankesschreiben wieder in die Normandie zurückgesandt, wo es wieder in die Obhut der Bürger von Bayeux überstellt wurde. Im Laufe der Jahre wechselte der Teppich noch mehrmals seinen Aufenthaltsort. 1812 wurde das Werk auf Befehl des Bürgermeisters von der Schulbibliothek ins Hotel de Ville überführt und zur besseren Ansicht auf zwei zylindrische Rollen aufgespannt. Diese Apparatur war alles andere als ausgereift und sorgte vor allem an den Rändern für erhebliche Beschädigungen der Leinwand. Diese fielen auch dem britischen Antiquar Dawson Turner auf, der 1818 notierte, der Teppich sei "am Anfang stark abgeschabt, dem Ende zu zerrissen, und im übrigen fehlen sogar einige Stücke" . Tatsächlich verschwand in diesem Jahr ein Stück des Teppiches, das erst 1871 über Umwege wieder nach Bayeux kam. Es wurde lange darüber spekuliert, ob dafür die Ehefrau des Zeichners Charles Stothard verantwortlich war. Stothard war von der Londoner Society of Antiquaries nach Bayeux geschickt worden, um eine Farbkopie des Werkes anzufertigen, eine Arbeit, die ihn etwa zwei Jahre lang beschäftigte. Auch Stothard stellte den schlechten Zustand des Teppiches fest, und er mußte das ursprüngliche Muster für seine Zeichnungen bisweilen mit Hilfe von Stoffresten, schwachen Farbspuren und feine Nadellöchern rekonstruieren.

    In den folgenden Jahren häufen sich die Klagen über den fortschreitenden Verfall des Werkes, und Stimmen wurden laut, die die Aufbewahrung des Teppiches an einem geeigneteren Ort forderten. Dennoch dauerte es bis 1842, bis das Kunstwerk in die öffentliche Bibliothek überführt wurde. Hier wurden die ersten Reparaturen durchgeführt und das Werk in einer speziell dafür gefertigten Glasvitrine auf Augenhöhe ausgestellt. Mit der Ausnahme einiger Wochen im Jahre 1870, als die Preußen in die Normandie vorzustoßen drohten, verblieb der Teppich bis 1913 an diesem Ort. Danach fand er im ehemaligen Bischofspalast ein neues Zuhause.


    6. Juni 1944: Landung der Alliierten in der Normandie.

    Beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde das Kunstwerk aus Angst vor deutschen Bomben in einen Schutzraum im Keller des Palastes gebracht. Nach der deutschen Besetzung erweckte der Teppich die Aufmerksamkeit der deutschen Truppen. Mehrfach wurde das Werk aus dem Schutzraum geholt und den Armeeangehörigen vorgeführt. Wie seinerzeit Napoleon, so dachte auch die Führung der Wehrmacht zu diesem Zeitpunkt über eine Invasion in England nach. Man könnte vermuten, daß das Werk angesichts dieser Pläne zur moralischen Bestärkung von Interesse war. 1941 wurde das Werk von vier Wissenschaftlern einer genaueren Überprüfung unterzogen, allerdings sind die damals angefertigten Berichte und Fotografien offenbar während der Kriegswirren verloren gegangen oder vernichtet worden. Als die Alliierten 1944 in der Normandie gelandet waren, kam der Teppich nach Paris und wurde dort im Louvre eingelagert. Nach der Befreiung von Paris zog er dort in einer Sonderausstellung wieder viele Menschen an. Seit 1948 ist das Werk wieder in Bayeux zu sehen.




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