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    III.3. DIE IBERISCHE HALBINSEL: KRIEGSZIEL LISSABON

    Am 19. Mai 1147 setzten im südenglischen Dartmouth die Schiffe einer Kreuzfahrerflotte ihre Segel und ließen sich vom Wind in den Ärmelkanal hinaustreiben. An Bord waren anglo-normannische und flämische Soldaten, unter ihnen ein Mann namens Osbernus. Ihm verdanken wir einen ausführlichen Bericht über die Taten dieses Heeres, das zu dem einzigen dauerhaften Erfolg im gesamten zweiten Kreuzzug entscheidend beitragen sollte – der Eroberung von Lissabon. Um die Mittagszeit des 28. Juni 1147 setzten die ersten Soldaten dieses Kontingents ihren Fuß auf den westlichsten Kriegsschauplatz der Kampagne. Nahe Lissabon wurden sie, kaum den Schiffen entstiegen, von Mauren angegriffen. Der Angriff konnte zurückgeschlagen werden, aber die erste Nacht wurde trotzdem von den meisten Kreuzfahrern an Bord der relativ sicheren Schiffe verbracht.

    Als im Morgengrauen des nächsten Tages Normannen, Flamen und eine Anzahl deutscher Kreuzfahrer aus dem Rheinland ihr Lager errichteten, bekamen sie Besuch von dem Mann, der ihre Ankunft schon ungeduldig erwartet hatte. Afonso Henriques, der König von Portugal, war im Begriff, sich seinen Beinamen „der Eroberer“ („O Conquistador“) auf jenem Kreuzzug zu verdienen, von dem sich sein Konkurrent und Vetter Kaiser Alfons von Spanien ebenfalls viel versprochen und dafür die Zugeständnisse des Papstes bekommen hatte. Afonso hatte von dem Nahen der Kreuzfahrerflotte von einer englischen Vorausabteilung erfahren, die bereits eine Woche zuvor vor Lissabon erschienen war. Der portugiesische König sah nun eine einmalige Gelegenheit, mit der Hilfe der Neuankömmlinge endlich in die schon 1140 und 1142 vergeblich angegriffene Stadt einzumarschieren. Eilig wurde ein Vertrag aufgesetzt, der den Kreuzfahrern im Fall einer erfolgreichen Belagerung Beuteanteile und Plünderrechte einräumte, die eroberte Stadt aber dem König sicherte.


    Eroberung einer Stadt (Bibel von San Isidora, Spanien um 1168).

    Die nächsten siebzehn Wochen waren von kleineren Scharmützeln, ansonsten aber vom eintönigen Geschäft der Belagerung gezeichnet. Die Moral der Truppe drohte bereits Risse zu bekommen. Fast wäre es gegen Ende Oktober wegen einem Handgemenge zwischen spanischen und flämischen Truppen zum offenen Bruch gekommen, aber der Konflikt konnte noch einmal beigelegt werden. Es war nun aber klar, daß man mit der Erstürmung nicht mehr sehr lange warten konnte. Zum Glück für die Kreuzfahrer war ein blutiger Ansturm aber nicht mehr nötig. Die von der Belagerung zermürbten Mauren willigten in eine friedliche Übergabe der Stadt ein. In den Schilderungen des Osbernus klingen die Bedingungen, die die Kreuzfahrer stellten, fair, ja fast wie ein „Gentlemen‘s agreement“. Keinem der Verteidiger oder Bewohner Lissabons sollte ein Haar gekrümmt werden, wenn er seine Wertsachen an einer zentralen Stelle abgeben und keinen Widerstand gegen die Besatzer leisten würde. Strafe war nur für jene vorgesehen, in deren Häuser bei einer anschließenden Durchsuchung unterschlagene Wertsachen gefunden wurden. Anschließend sollten die Besiegten frei ihres Weges gehen dürfen. Unter diesen Bedingungen öffneten die Mauren die Tore der Stadt. Die Christen zogen triumphierend in Lissabon ein.


    Statuen einfacher maurischer Infanterie an der Kirche San Domingo in Soria, Spanien. (Mitte 12. Jhdt.).

    Der Erzbischof und die anderen Bischöfe zogen an unserer Spitze mit dem Kreuz des Herrn ein, dahinter unsere Führer und die ausgewählten Männer. Wie sie alle jubelten! Welch außergewöhnlicher Ruhm für uns alle! Welch große Freude und Übermaß an Freudentränen herrschte, als zum Lob und zur Ehre Gottes und der allerheiligsten Jungfrau Maria das rettende Kreuz auf dem höchsten Turm aufgestellt wurde, als ein für alle sichtbares Zeichen für die Unterwerfung der Stadt, während der Erzbischof und die Bischöfe, zusammen mit dem Klerus und jedermann, mit wunderbarem Jubel das Te Deum Laudamus und das Asperges Me anstimmten, zusammen mit ergebenen Gebeten“, schreibt Osbernus.

    Allerdings blieb es nicht lange bei der Illusion einer gewaltfreien Übernahme der Stadt. Viele Kreuzfahrer hielten sich nicht an die Übergabebedingungen und raubten, plünderten und griffen Zivilisten an. Osbernus beschuldigt in seinem Bericht die Flamen und die Kölner, denn diese hätten mehr als die 160 ausgewählten Männer ihres Kontingentes, die zusammen mit 140 Normannen die Übernahme überwachen sollten und aus diesem Grunde zunächst allein in die Stadt eingelassen wurden, eingeschleust und dann mit den Ausschreitungen begonnen. Seine eigene Fraktion spricht Osbernus hingegen von aller Schuld frei. „Die Normannen und die Engländer hingegen, die über die möglichen Folgen solcher Handlungen nachdachten, blieben ruhig in ihren zugedachten Positionen und zogen es vor, ihre Hände von der Plünderei zu lassen, als gegen die Pflichten ihres Glaubens und ihren mit Eid besiegelten Bund zu verstoßen.“ Besonders peinlich für das Selbstverständnis eines Kreuzfahrerheeres war, daß sich die Angriffe, Vergewaltigungen und Plünderungen nicht nur gegen die muslimischen Bewohner richteten, sondern selbst der greise Bischof von Lissabon, der unter den Mauren geduldet worden war, von entfesselten Kreuzfahrern ermordet wurde.

    Trotz der blutigen Ausschreitungen im Zuge der Übernahme von Lissabon muß diese Eroberung auf einem „Nebenschauplatz“ des Zweiten Kreuzzuges letztendlich als dessen größter und beständigster Erfolg gesehen werden.




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