Altgermanisches Bauwerk in Schweden entdeckt
„Nie zuvor hat man in Schweden etwas vergleichbares gefunden“, jubeln Archäologen: Beim Bau einer Eisenbahnstrecke sind sie in Alt-Uppsala auf die Reste eines Gebäudes mit gigantischen Ausmaßen gestoßen. Ist es der seit Jahrhunderten gesuchte „Tempel“ der Heiden?Seit Jahrhunderten, vielleicht schon länger, haben Schweden und andere an der bewegten Vorzeit Skandinaviens Interessierte nach dem sagenumwobenen „Tempel“ der Heiden im alten Kultzentrum Uppsala nahe Stockholm gesucht. Ein echter Sensationsfund könnte ihren Spekulationen nun neue Nahrung liefern: Archäologen haben in der historischen Siedlung die Überreste eines riesigen Bauwerks aus der Eisenzeit entdeckt, berichtet die Zeitung „Dagens Nyheter“ in ihrer Online-Ausgabe.
Bei Ausgrabungen an einer geplanten neuen Bahnlinie stießen sie auf die Fundamente hölzerner Pfähle, die in zwei langen Reihen standen, teilten die mit den Ausgrabungen beauftragten Archäologen am Freitag mit. Sie bilden demnach einen rechten Winkel und stammen vermutlich aus dem 5. Jahrhundert: Mit Hilfe der C14-Messung (Radiokarbon-Methode) ließ sich die Bauzeit des Gebäudes auf die Völkerwanderungszeit (375 bis 550 n. Chr.) bestimmen.
Riesige Ausmaße
Die längere Reihe der Pfähle bestand den Forschern zufolge aus 144 Holzpfählen und erstreckte sich über einen Kilometer, die kürzere war ungefähr halb so lang. Sie waren nach Einschätzung der Archäologen jeweils acht bis zehn Meter hoch, „von weitem sichtbar und haben möglicherweise die Straße nach Alt-Uppsala flankiert“, sagte die Archäologin Lena Borenius-Jörpeland. Die Pfeiler standen im Abstand von genau sechs Metern zueinander und ergeben zwei Reihen, die einen rechten Winkel darstellen. Der somit gebildete Innenraum ist 500 Meter lang.
Tierknochen weisen auf Opferhandlungen hin
Von dem Bauwerk in der Nähe der berühmten Königshügel mit den Gräbern der altschwedischen Herrscher aus der Eisenzeit sind nur die mit Steinen verstärkten Gruben der Fundamente und einige hölzerne Überreste erhalten. Außerdem wurden Knochen von Pferden, Rindern und Schweinen entdeckt – was nach Ansicht der Archäologen darauf hinweist, dass dort auch Tiere geopfert wurden.
Doch die Archäologen sind sich nicht sicher, ob die Halle eine kultische Funktion hatte oder lediglich eine gigantische Schutzhalle für die Herrscher darstellte. „Dieses Gebäude weckt viele Fragen – nie zuvor hat man in Schweden etwas vergleichbares gefunden und wir haben keine schriftlichen Quellen, die uns helfen könnten, zu verstehen, was damals geschah“, berichtet Projektleiterin Beonius-Jörpeland.
Lediglich aus Dänemark kennt man ähnliche Pfeilerreihen, die einige Jahrhunderte jünger sind und aus der Wikingerzeit stammen. Deren Funktion war es, Holzwege zu schützen – doch Spuren irgendwelcher Wege finden sich in Uppsala nicht. Vielmehr vermuten die Forscher, dass ein noch unbekannter Zusammenhang zu den Gräbern der Herrscher in den berühmten Königshügeln der alten Hauptstadt besteht. So könnte einer Theorie zufolge mit den Pfählen gezeigt worden sein, dass es sich bei dem Gelände um heilige Kultplätze handelte.
„Dies ist ein außergewöhnliches Gebilde. Es könnte sich im eine Gebietsmarkierung handeln, aber auch als kultische Abgrenzung gedient haben“, so Beronius-Jörpeland weiter. Alt-Uppsala war das Zentrum für den vorchristlichen Kult der eisenzeitlichen Gesellschaft Schwedens. Zudem war es ein bedeutender Ort für Handel, Handwerk und Justiz. „Wir glauben, dass die Pfähle hoch waren, vielleicht acht bis zehn Meter“ – in jedem Fall habe man sie von weither sehen können, möglicherweise hätten sie den Weg nach Alt-Uppsala flankiert.“
Forscher suchen Parallelen im Mittelmeerraum
Zudem glauben die Forscher, dass bei dem Fund noch vieles zu entdecken ist: „Das, was wir bislang gefunden haben, ist vermutlich nur ein Teil des riesengroßen Gebäudes. Die Bautechnik ähnelt jener, die man zum Bau großer Häuser anwendete und setzt großen Arbeitseinsatz und schweres Baumaterial voraus.“ Der Unterschied sei aber, dass die Holzpfähle viel größer sind als die, die man zum Bau gewöhnlicher Häuser benutzte. Die Archäologen vermuten, dass die in den Hügeln begrabenen Herrscher mit dem Gebäude ihre Machtposition verdeutlichen wollten: „Es war auf jeden Fall eine sehr mächtige Person, die den Bau dieses großen Gebäudes anordnete.“
Dass es sich um einen reinen Schutzbau handeln könnte, halten die Forscher dagegen für unwahrscheinlich: „Zu dieser Zeit gab es alte Burgen mit einer solchen Funktion, aber sie wahren deutlich kleiner.“ Vielmehr glauben sie, dass der Komplex mehreren Funktionen gleichzeitig diente. Auf der Suche nach einer Erklärung wollen sich die Wissenschaftler jetzt im übrigen Europa und im Mittelmeerraum umschauen –denn vielleicht hätten sich die Mächtigen von Alt-Uppsala, „die das Gebäude bestellt und seinen Bau durchgesetzt haben“, ihre Inspiration „von außerhalb geholt“.
is die heutige Wissenschaft Sinn und Zweck der Anlage verstanden haben wird, könne noch lange Zeit vergehen, mutmaßt die Expertin Maja Hagerman, die mehrere Bücher zu Alt-Uppsala geschrieben hat: „Die moderne Forschung versucht heute, Funde wie diese mit Hinblick auf die Frage zu betrachten, wie man damals mit Landschaften umging. Deshalb glaube ich, dass es noch eine lange Zeit dauert, bis man den gesamten Zusammenhang versteht.“
„Gamla Uppsala“, wie der Ort heute in Schweden genannt wird, war weder ein Dorf noch eine Stadt, sondern ein so genannter Zentralplatz. Er war verbunden mit den Höfen der mächtigsten Häuptlinge, die die damalige Gesellschaft beherrschten. Auf dem Komplex finden sich Spuren von Hunderten Gebäuden, darunter Wohnhäuser, Wirtschaftsanlagen, Schmieden und so genannte Grubenhäuser, die die Grundlage für ein stark entwickeltes gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben bildeten.