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Die Stimmen Bismarcks und Moltkes (Gelesen: 3066 mal)
Ares Hjaldar de Borg
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Die Stimmen Bismarcks und Moltkes
02.02.12 um 23:48:10
 
Zitat:
So klang Bismarck!


Der Kanzler war begeistert! 1889 wurde Otto von Bismarck ein Phonograph vorgeführt - und der altehrwürdige Staatsmann plauderte munter auf das revolutionäre Gerät. Mehr als ein Jahrhundert galt die wohl einzig jemals gemachte Aufnahme der fürstlichen Stimme als verschollen. Nun ist sie aufgetaucht. Von Katja Iken 
      
Die Sensation schlummerte in einer schäbigen Holzkiste mit fehlendem Henkel, direkt hinter dem Bett des großen Erfinders Thomas Alva Edison. Die Vorderseite war stark beschädigt, einige der 17 Phonographenwalzen in ihrem Inneren waren bereits zerbrochen.

Die Nachlassverwalter, die die Holzkiste am 11. September 1957 in der Bibliothek Edisons entdeckt hatten, schenkten ihrem Inhalt keinerlei Beachtung und wuchteten ihren Fund kurzerhand ins Archiv. Dort staubten die etwa klopapierrollengroßen Walzen weitere fünf Jahrzehnte vor sich hin. Jetzt hat sie der deutsche Wissenschaftler Stephan Puille gemeinsam mit seinen US-Kollegen um den Medienhistoriker Patrick Feaster erstmals identifiziert.

Es sind frühe Tonaufnahmen aus den Jahren 1889 und 1890, zu hören sind unter anderem: Generalfeldmarschall Graf Helmuth von Moltke und - Reichskanzler Fürst Otto von Bismarck höchstpersönlich. Nur eine Minute und 13 Sekunden dauert die Aufnahme des "Eisernen Kanzlers" - und ist doch eine Weltsensation. Denn es handelt sich laut Puille um das erste und einzige Tonzeugnis, das es bislang von Bismarck gibt.

"Das ist der größte Fund meiner Laufbahn", jubelt Puille, Restaurator und Mitarbeiter der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, der die am Montag vom "Thomas Edison National Historical Park" veröffentlichte Bismarck-Aufnahme rekonstruiert hat. Im Auftrag Feasters machte sich Puille, Spezialist auf dem Gebiet der frühen Tonaufnahmen, im Mai 2011 daran, das Rätsel um die Walzen aus der Holzkiste zu lösen. Hierbei ging er vor wie bei einer Art historischem Puzzlespiel.

Neuartige "Sprechmaschine"

Bekannt war Puille, dass Bismarck im Jahr 1889 die - für damalige Verhältnisse spektakuläre - Technik des Edinsonschen Phonographen kennenlernte. Ein Mitarbeiter des amerikanischen Erfinders, Adelbert Theodor Edward Wangemann, suchte den Reichskanzler am 7. Oktober 1889 in dessen Schloss in Friedrichsruh bei Hamburg auf und führte ihm die neuartige "Sprechmaschine" vor: ein Gerät, dessen schallempfindliche Nadel eingehende Töne als wellenförmige Erhöhungen und Vertiefungen in eine rotierende Wachswalze ritzte.

Puille wusste zudem, dass Reichskanzler Otto von Bismarck, begeistert von der ihm präsentierten Technik, einwilligte, selbst Aufnahmen zu machen. Die Tagespresse, allen voran aus dem Hamburger Raum, meldete die Sensation in jenem Herbst 1889 und druckte, wenn auch nur auszugsweise, den Inhalt der entstandenen Bismarck-Aufnahmen ab. Von der Walze selbst jedoch fehlte jahrzehntelang jede Spur. Bis Puille im vergangenen Jahr der Auftrag aus den USA ereilte.

Als es ihm gelang, auf dem stark beschädigten, von rhythmischem Rauschen gestörten Tondokument den Aufnahmeort, nämlich "Friedrichsruh", herauszuhören, merkte Puille sofort auf. "Ich wusste, dass Edinsons Mitarbeiter Wangemann nur deshalb in Friedrichsruh gewesen sein muss, um Bismarck zu einer Aufnahme zu bewegen.

Der "Eiserne Kanzler" als Marketing-Gag

Wangemann war von Edison ursprünglich mit dem Auftrag nach Europa geschickt worden, den Phonographen bei der Pariser Weltausstellung von 1889 zu warten und neu zu justieren. Im Anschluss an die Weltausstellung tourte Wangemann dann, mit Gattin und Phonograph im Reisegepäck, durch Deutschland und Europa, um den Wissenschaftlern und Herrschern jener Zeit die Erfindung näherzubringen - und neue Tonaufnahmen zu erstellen.

Denn Edison plante, den Phonographen als Musikabspielgerät auf den Markt zu bringen und benötigte nun noch spektakuläres Werbematerial. Etwa ein Grußwort des zu jener Zeit weltbekannten Fürsten Otto von Bismarck. Wangemann hatte laut Tonhistoriker Puille sogar schon den Text für eine solche sonore Grußbotschaft "an die Deutschen diesseits und jenseits des Atlantik" ausgearbeitet. Doch der "Eiserne Kanzler" ließ sich für den geplanten Marketing-Gag nicht instrumentalisieren.

"Stattdessen sagte er vor dem Phonographen spontan das auf, was ihm gerade einfiel", so Puille. Offenbar in dem Bestreben, möglichst polyglott zu wirken, äußerte sich Otto von Bismarck bei seinem 73-Sekünder gleich in vier Sprachen: Englisch, Latein, Französisch und Deutsch. In den ersten Sekunden rezitierte er das damals in den USA sehr populäre Volkslied "In Good Old Colony Times" - laut Puille vermutlich ein Gruß an Erfinder Edison. Daran schließen sich der Anfang der berühmten Heldenballade "Schwäbischer Kunde" von Ludwig Uhland sowie eine Strophe aus dem lateinischen Studentenlied "Gaudeamus igitur" an.

"Treibe alles in Maßen und Sittlichkeit"

Ab Sekunde 44 folgt die große Überraschung: "Allons, enfants, de la Patrie, le jour de gloire est arrivé. Contre nous de la tyrannie, l'étendard sanglant est levé". In lupenreinem Französisch rezitierte der Reichskanzler die ersten Zeilen der "Marseillaise". Wieso Otto von Bismarck ausgerechnet die Nationalhymne des traditionellen "Erbfeindes" Frankreich bemühte, bleibt ein Rätsel: Erlaubte sich der Reichskanzler hier einen kleinen Spaß? Oder wollte er die 1871 vernichtend besiegten Franzosen ein wenig foppen? "Ich bin gespannt, was die Historiker dazu sagen werden", sagt Puille.

Zum Abschluss der Aufnahme richtete Otto von Bismarck mahnende Worte an seinen Sohn Herbert: "Treibe alles in Maßen und Sittlichkeit, namentlich das Arbeiten, dann aber auch das Essen, und im Übrigen gerade auch das Trinken. Rat eines Vaters an seinen Sohn." Ein Rat, der nicht frei von Ironie war: Der Reichskanzler selbst war ein wüster Workaholic, der bekanntlich weder beim Bier noch beim Schnitzel Maß zu halten vermochte: 1879 wog er bereits 247 Pfund.

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Re: Die Stimmen Bismarcks und Moltkes
Antwort #1 - 02.02.12 um 23:49:33
 
Zitat:
Edison-Mitarbeiter Wangemann führte Bismarcks Sohn Herbert im Herbst 1889, wenige Wochen nach seinem Aufenthalt in Friedrichsruh, die Tonaufnahme vor - sofort erkannte der Sohn die Stimme seines damals 74-jährigen Vaters. Dies ist für Stephan Puille ein weiteres, gewichtiges Indiz dafür, dass es sich bei den Aufnahmen zweifelsfrei um Otto von Bismarcks Stimme handelt.

Hasenfüßiger Kaiser Wilhelm II.

Doch entlockte Wangemann nicht nur Bismarck, sondern auch dem preußischen Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke ein paar Worte, wie den nun dechiffrierten Walzen zu entnehmen ist. In dem Tondokument rezitierte der zum Zeitpunkt der Aufnahme knapp 90-Jährige Auszüge aus Goethes "Faust" und Shakespeares "Hamlet". Mit brüchiger Stimme zwar und daher kaum verständlich - doch der Wert der Aufnahmen ist dennoch enorm. Denn mit Moltkes Tondokument liegt nun erstmals das hörbare Zeitzeugnis eines bereits im Jahr 1800 geborenen Menschen vor.

Auf seiner Tournee durch Europa gelangen Wangemann zudem noch weitere spektakuläre Coups: Bei seinem Besuch in Wien etwa, am 2. Dezember 1889, bewegte Wangemann den berühmten Komponisten Johannes Brahms dazu, den ersten seiner "Ungarischen Tänze" für den Phonographen darzubieten. Und Ende Januar 1890 nahm der Kölner Musiker Otto Neitzel ein Stück des Klavierkonzertes No. 2 in f-Moll von Frédéric Chopin auf - laut Puille die erste überlieferte Aufnahme eines Chopin-Stückes überhaupt.

Die wichtigsten Machthaber Europas indes konnte selbst der rührige Wangemann nicht recht vom Wert des Phonographen überzeugen: Der russische Zar Alexander III. zeigte sich wenig beeindruckt von der Erfindung aus Übersee und wollte, ebenso wie der österreichische Kaiser Franz Joseph I., nichts davon wissen, eine eigene Walze aufzunehmen.

Der deutsche Kaiser Wilhelm II. hingegen war zwar schwer angetan von dem Phonographen und begriff auch blitzschnell, wie es funktionierte. Doch auch er weigerte sich, seine Stimme auf einem Tonträger verewigen zu lassen - obwohl Wangemann wiederholt nach Potsdam reiste und ihn zu überzeugen versuchte.

"Möglicherweise hatte Kaiser Wilhelm II. Angst, dass die Aufnahme irgendwann gegen ihn verwendet werden könnte", mutmaßt Puille. Immerhin war der junge Hohenzollern-Spross gerade einmal ein Jahr im Amt und daher eventuell noch unsicher. Um Wangemann endlich loszuwerden, schickte der Kaiser seine Söhne vor. Mutig traten der damals siebenjährige deutsche Kronprinz Wilhelm und seine jüngeren Brüder Eitel Friedrich und Adalbert vor den Phonographen. Und nahmen anstelle ihres hasenfüßigen Vaters eine Walze auf - von der bis heute jede Spur fehlt.



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