Willkommen Gast. Bitte Einloggen
 
  ÜbersichtHilfeSuchenEinloggen  
 
Seitenindex umschalten Seiten: 1
Thema versenden Drucken
20 Jahre nach der Ötzi-Entdeckung (Gelesen: 5593 mal)
Ares Hjaldar de Borg
Administrator
FN Mitglied
*****
Offline


a furore normannorum libera
nos domine...

Beiträge: 3646
Wulfen
Geschlecht: male
20 Jahre nach der Ötzi-Entdeckung
22.09.11 um 09:19:51
 
...

Zitat:
Hatte er blaue oder braune Augen? Trug er eine Wolfsfell- oder eine Bärenmütze? Und wurde er ermordet oder ist er ganz natürlich gestorben, oben auf dem Berg? Ötzi, die bekannteste Mumie der Welt, ist auch 20 Jahre nach seiner Entdeckung ein Glücksfall für die Forschung.

Draußen in der Gasse vor dem Museum rotieren die Lichter. Feuerwehrautos haben das Gebäude umstellt, ein Fahrzeug mit einer Drehleiter steht unweit des Haupteingangs. Im ersten Stock öffnet sich ein Fenster, eine Edelstahlbahre schiebt sich zwischen den weißen Fensterläden hindurch nach draußen, wo die Feuerwehrmänner sie vorsichtig entgegennehmen und auf dem Korb am oberen Ende der Drehleiter absetzen.

Flammen sind nirgendwo zu sehen, eher Kamerateams, die die nächtliche Übung der Bozner Feuerwehr begleiten. Doch auch die wären nicht so zahlreich gekommen, läge dort oben auf der Stahlbahre nicht eine der berühmtesten Persönlichkeiten Bozens, die Mumie Ötzi.

Man will sich nicht vorstellen, was wirklich passieren würde mit dem Mann aus dem Eis, wenn er von einem Feuer im Museum bedroht wäre. Ob ihn die Feuerwehrleute so behutsam auf eine Trage legen könnten, ob sie sich für die wenigen Meter aus seiner Kühlkammer im ersten Stock bis zur rettenden Fensteröffnung mehrere Minuten Zeit lassen dürften, ob sie sich sterile Handschuhe anziehen würden, bevor sie behutsam die bizarr verdrehten Arme und die von ledriger Haut überzogenen Beine anfassen?
So etwas wie eine Wiederauferstehung

Die geprobte Rettung der Mumie ist als Film im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen zu sehen, wo sich derzeit eine Jubiläumsausstellung über vier Etagen ausschließlich dem Mann aus dem Eis widmet. Anlass ist Ötzis Entdeckung am 19. September 1991, also vor 20 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits 5300 Jahre in seiner natürlichen Klimakammer im Ötztal auf 3200 Metern Höhe gelegen, knapp hundert Meter südlich der Grenze zwischen Österreich und Italien.

Nur eine Laune der Natur, ein Sturm, der im März 1991 ockerfarbenen Sand von der Sahara in die Alpen trug, und das zufällige Vorbeikommen zweier deutscher Wanderer an der Fundstelle - rückten ihn so jäh in den Blick der Weltöffentlichkeit. Der Sand hatte sich den Sommer über aufgewärmt und das Eis in Rekordgeschwindigkeit weggeschmolzen. In Tirol kamen so sechs Leichen ans Tageslicht, als Letzter, oben auf dem Tisenjoch, Ötzi. Es war so etwas wie eine Wiederauferstehung.

Mittlerweile strömen 230.000 Besucher pro Jahr in den eigens gestalteten Bau im Zentrum von Bozen. An manchen Tagen reicht die Schlange vor dem Eingang des Museums bis zum Brunnen ums Eck. Von einem Plakat blickt eine Nachbildung des Iceman mit Fellmütze, Fellkleidung und Jagdbogen scheinbar belustigt auf das Treiben.

Ötzi selbst liegt im ersten Stock in einer eigens für ihn konstruierten Kühlzelle. Zu sehen ist er nur von einem apsisähnlichen, abgetrennten Bereich, versteckt hinter einer kleinen quadratischen, von dickem Glas verschlossenen Öffnung, geschützt vor UV- und Infrarot-Strahlen. Hier ist Ötzi auf einer Edelstahl-Präzisionswaage gebettet, im Dämmerlicht schimmert seine eisgekühlte Haut. Die Stimmung im abgedunkelten Raum davor ist gespannt, weihevoll, nur manchmal erlaubt sich einer in der langen Warteschlange vor dem Ötzi-Guckloch einen kleinen Steinzeitscherz oder gibt das neueste Ötzi-Wissen zum Besten.

Nur häppchenweise neue Infos

Diese neuesten Erkenntnisse rund um die Mumie sind immer ein gutes Gesprächsthema, zumal es auch unter den Forschern offenbar von Anfang an die unausgesprochene Abmachung gab, zu Ötzi immer nur häppchenweise Neues zu veröffentlichen. Zum Beispiel Details wie jenes, dass seine engen Hosen aus feinem Ziegenleder gearbeitet sind, der Gürtel aus Kalbsleder, dass sein Mantel im Streifenlook abwechselnd aus hellem und dunklem Ziegenleder genäht ist, seine Schuhe aus zwei Lagen Fell (Hirsch und Bär) und einer Schicht geflochtenem Stroh gefertigt wurden, dazu trägt er eine Wolfsfellmütze - das ist neuester Kenntnisstand. Frühere Untersuchungen hatten Bärenfell als Mützenmaterial ausgemacht.

Ötzi war wohl ein einflussreicher Mann seiner Zeit, das zeigt neben der aufwendigen Kleidung auch das mitgeführte Kupferbeil - das älteste erhaltene Exemplar weltweit übrigens. Der Mann aus dem Eis ist für die Forschung ein Glücksfall - seine Untersuchung die aufwendigste und "teuerste Totenschau der Geschichte", urteilt die Zeitschrift National Geographic - ein Hauptsponsor der Ausstellung.

Auch sein Genom ist im vergangenen Jahr sequenziert worden, ein Ergebnis war: Ötzi hatte nicht, wie ihn ausnahmslos alle Darstellungen bis dahin zeigten, blaue, sondern braune Augen. Maskenbildner weltweit mussten mal wieder umarbeiten. Zuletzt ist Ötzis Mageninhalt bestimmt worden. Der etwa 45-Jährige hat nicht, wie bislang angenommen, noch etwas Getreidebrei im Tal verspeist und war dann fluchtartig in Richtung Passhöhe aufgebrochen, verfolgt von seinen Jägern. Sein letztes Mahl hat er wohl ruhig eine halbe Stunde vor seinem Tod oben am Berg zu sich genommen. Die Mordtheorien müssen allesamt umgeschrieben werden. Aber das ist das Publikum ja gewohnt seit nunmehr 20 Jahren Ötzi-Forschung.

Ötzis Geschichte als Kriminalfall

Auch diese Erkenntnis reiht sich ein in eine lange Kette von wissenschaftlichen Neuigkeiten rund um den Mann aus dem Eis. Fast im gesamten obersten Stockwerk des Museums ist die Ötzi-Geschichte wie ein Kriminalfall dargestellt. Offene Fragen auf den Tableaus deuten an, was wir in Zukunft noch an Veröffentlichungen zu erwarten haben. Die Forscher wollen noch einmal sämtliche Kleidungsstücke neu analysieren, vor allem die Durchforstung seines Genoms soll neue Hinweise bringen.
Zum Seitenanfang
 

The monks wanted God to deliver them from our fury. Seems like God is on our side - we deliver more souls.
Homepage 111329766  
IP gespeichert
 
Ares Hjaldar de Borg
Administrator
FN Mitglied
*****
Offline


a furore normannorum libera
nos domine...

Beiträge: 3646
Wulfen
Geschlecht: male
Re: 20 Jahre nach der Ötzi-Entdeckung
Antwort #1 - 22.09.11 um 09:21:42
 
Zitat:
Bereits in wenigen Wochen will der Tübinger Genetiker Carsten Pusch neue Erkenntnisse publizieren. Dann wird klarer sein, wo Ötzis Vorfahren herkamen. Die mütterliche Linie ist dank der mitochondrialen DNS schon länger bekannt. Die weiblichen Verwandten stammen aus dem Eisacktal in den Dolomiten, das ergab eine Isotopenanalyse.

Bei Ötzis männlichem Migrationshintergrund wird "es eine Überraschung geben", sagt Pusch. Welche, will er noch nicht verraten. Möglicherweise sind die Vorfahren aus entlegenen Gegenden eingewandert und waren noch Jäger und Sammler und keine sesshaften Bauern. Darüber hinaus gibt es offenbar weitere Erkenntnisse zu Erbkrankheiten und Erkrankungen. "Nur so viel", sagt Pusch, "wir sehen Ötzi immer als kerngesunden Burschen. Da waren wir doch sehr überrascht über seinen wahren Gesundheitszustand."
Ötzi-Kopie zum Experimentieren

Bei ihren Untersuchungen sind die Forscher immer extrem schonend mit dem Leichnam umgegangen. Aus Vorsicht, und um das Experimentieren zu üben, haben die Wissenschaftler am Anatomischen Institut der Universität Innsbruck sogar eine Ötzi-Kopie hergestellt: Ötzi 3. Für diese künstliche Mumie ist die Leiche eines anonymen Körperspenders einem Mumifizierungsverfahren unterzogen worden, wie es wohl auch Ötzi im Eis erfahren hat.

Das Double liegt in einer identischen Kühlzelle. An ihm ist zum Beispiel getestet worden, ob eine Kühlung unter einer Stickstoff- anstelle einer Sauerstoffatmosphäre die Haut oder die Oberfläche der Mumie verändern würden. Das war nicht der Fall. Also ist Ötzi auf Stickstoff umgestellt worden. Das stoppt schädliche oxidative Prozesse, Mikroorganismen wie Bakterien und Pilze, die von Sauerstoff leben, können nicht mehr auf Ötzis Körperoberfläche existieren.

Überhaupt ist die Kühlkammer ein Hightechprodukt mit Präzisions-Messgeräten, einer speziellen, sterilen Innenwandbeschichtung, neuartigen Dichtungen, die ein Ausströmen von Stickstoff und ein Eindringen von Sauerstoff verhindern. Hochauflösende Kameras beobachten die Hautoberfläche, um bei Veränderungen reagieren zu können. Eine komplexe Elektronik steuert die Prozesse. Für die Besucher draußen werden auf mehrere Nachkommastellen genau Werte wie Lufttemperatur (-6 bis -7 Grad Celsius), Luftfeuchtigkeit (rund 97 Prozent) und Gewicht dargestellt. Nervös tanzen die letzten Nachkommastellen hin und her. Die Botschaft lautet: So gut wie um Ötzi kümmert sich kein Museum der Welt um eine Leiche.

Ein Problem bleibt das Körpergewicht. Ötzi verliert ohne Behandlung an Gewicht, täglich wären es ein bis zwei Gramm. Hier haben sich Techniker eine Lösung ausgedacht: Um das Austrocknen - den Grund für das Abnehmen - zu verhindern, besprühen sie Ötzi in regelmäßigen Abständen mit sterilem Wasser, dadurch bildet sich auf der Haut eine feine, transparente und schützende Schicht aus Eis. Besucher können diese am leichten Schimmern erkennen, wenn sie durch die quadratische Öffnung in Ötzis Ruhestätte blicken.
Auffällige Symmetrie der Zahlen

Doch es bestärkt auch Ötzis Faszination, dass noch nicht alle Geheimnisse um ihn und seinen Tod preisgegeben sind. Ist nicht schon der Fundtag der Mumie aufgrund der Symmetrie der Zahlen auffällig? 19.9.1991 lässt sich von vorne und von hinten gleichermaßen lesen. Zum Jubiläum wird "19.9.91" ins Gras am Vernagter Staudamm im romantischen Schnalstal gemäht, von dort aus kann man in gut dreieinhalb Stunden hoch zu Ötzis Fundort wandern. Auch wird das Mysteriöse rund um Ötzi von Legendenliebhabern sorgfältig gepflegt, analog zum Fluch des Pharao gibt es auch den "Fluch des Ötzi". Acht Menschen, die mit Ötzi nach seiner Bergung zu tun hatten, sind seit 1991 gestorben - der Entdecker der Mumie, Gerichtsmediziner, Forscher und Kameraleute. Wem kann das nicht einen kalten Schauer über den Rücken jagen?

Doch manchen genügt das offenbar nicht: Es gibt den in Tschechien geborenen amerikanischen Kunstlehrer Petr Jandácek, der sich lange mit Indianern beschäftigt hat und sicher ist, ein Nachkomme von Ötzi zu sein, schließlich stamme seine Familie aus der Gegend. Die deutsche Sozialpädagogin Renate Spieckermann glaubt gar, in einem früheren Leben selbst Ötzi gewesen zu sein. Ein Mann, der sich an das Bozner Museum gewandt hat, meint, anhand von Ötzis Tätowierung seinen verschwundenen Onkel Enno identifiziert zu haben. Die bei Ötzi gefundenen Schwämme seien "ganz eindeutig dem Hausrat der Tante Anneliese zuzuordnen", so zitiert ihn der lesenswerte Katalog zur Jubiläumsausstellung.

Es gibt Ötzi-Fruchtgummis, Ötzi-Briefbeschwerer, Ötzi-Krippenfiguren. Ötzi, die bekannteste Mumie der Welt, ist nun seit 20 Jahren der Steinzeitmensch schlechthin, ein Prototyp unserer Vorfahren. Schon im Fundjahr 1991 kürte ihn das Time Magazine zu einer der 25 berühmtesten Persönlichkeiten des Jahres. Doch irgendwie scheint er heute lebendiger zu sein denn je, zumindest solange im Bozner Museum kein Feuer ausbricht.

Die Sonderausstellung "Ötzi20 - Life.Science.Fiction.Reality" ist noch bis zum 15. Januar 2013 im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen zu sehen.


Quelle: SZ
Zum Seitenanfang
 

The monks wanted God to deliver them from our fury. Seems like God is on our side - we deliver more souls.
Homepage 111329766  
IP gespeichert
 
Jeanne de Beaumont
Ritter
**
Offline



Beiträge: 962
Dortmund
Geschlecht: female
Re: 20 Jahre nach der Ötzi-Entdeckung
Antwort #2 - 22.09.11 um 15:02:37
 
Jepp, die wollen jetzt Gentests mit der umliegenden Bevölkerung machen, um eventuelle Nachfahren von Ötzi zu ermitteln. Schon abgefahren!
Zum Seitenanfang
 

Drei Dinge sind unwiederbringlich: der vom Bogen abgeschossene Pfeil, das in Eile gesprochene Wort, die verpasste Gelegenheit
 
IP gespeichert
 
Rotrou
Kriegsknecht
FN-Freund
**
Offline



Beiträge: 40
Gelsenkirchen
Geschlecht: male
Re: 20 Jahre nach der Ötzi-Entdeckung
Antwort #3 - 17.08.13 um 18:37:42
 
Ja, also das Ötzi Merchandising in Tirol (Nord-wie Süd) ist enorm und enorm nervig. Das Museum ist aber schon klasse gemacht. Vor Allem erklärt es auch recht ausführlich die Methoden, die angewendet wurden (Isotopen & Co...). Ich fands lohnend.

Bei ner Bergtour war ich auch mal am Tisenjoch, der Fundstelle. Sehr abgefahrene Gegend da. Gerade eben noch ohne Seil zu machen. Als Überschreitungsort von Vernagt nach Vent ein sehr "unlogischer" Ort/Weg. Irgendwie nahm der Gute nicht die Hauptstrasse.

An sich ein spannendes Thema -find ich- und im Museum schon gut aufbereitet.

Zum Seitenanfang
 
 
IP gespeichert
 
Seitenindex umschalten Seiten: 1
Thema versenden Drucken