Das Erbe
Vor genau 75 Jahren wurden die Olympischen Spiele von 1936 in Berlin eröffnet. Sie haben mehr hinterlassen als „Heil!“-Rufe. Das Olympiastadion ist mit Jesse Owens verknüpft. Viele weitere Ereignisse prägten das Erbe der Hitler-Spiele.01. August 2011 2011-08-01 07:43:27
Berlin ist bereit für Olympische Spiele. Denn Berlin hat alle Voraussetzungen: die Stadien, die Infrastruktur, die Begeisterung der Menschen für den Sport. Mit diesen Worten rief der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, kaum war die Olympiabewerbung von München 2018 gescheitert, der Welt des Sports, zumindest der deutschen, die Hauptstadt in Erinnerung. Am kommenden Montag, am 1. August, ist es 75 Jahre her, dass Adolf Hitler in Berlin in die Mikrofone schnarrte: „Ich verkünde die Spiele von Berlin zur Feier der elften Olympiade neuer Zeitrechnung als eröffnet.“ In der Rundfunkaufzeichnung ist zu hören, wie die Menschenmenge im Olympiastadion daraufhin aus voller Kehle „Heil!“ schreit.
Olympia 1936 hat mehr hinterlassen als die Namen der Sieger, die Stätten ihrer Triumphe: ein Stadion innerhalb eines 150 Hektar großen Olympiageländes mit Anlagen für Schwimm-, Hockey- und Reitwettbewerbe, mit unzähligen Trainingsplätzen, wo der Fußballklub Hertha BSC sein Quartier genommen hat und bald eine Eliteschule des Sports einziehen soll. Mehr als die regelmäßig bespielte Waldbühne, das Maifeld und den Glockenturm.
Das Stadion ist, zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 für 242 Millionen Euro modernisiert, so etwas wie das Nationalstadion geworden. Seit 1985 findet hier das DFB-Pokalfinale statt, die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer 2006 endete mit dem Finale in Berlin, die der Frauen begann hier. Den Ungeist des Nationalsozialismus sollte der Betrieb längst vertrieben haben. Wenn man es recht bedenkt, hatte er kaum Gelegenheit, sich einzunisten, denn die Reihe von Auftritten, die die Erinnerung bestimmen, begann lange vor dem Chile-Spiel der DDR bei der Fußball-WM 1974, vor Rolling Stones und Daniel Barenboim, vor der Roten Karte zum Abschied von Zinedine Zidane und vor den drei Weltrekorden von Usain Bolt auf der blauen Bahn der Leichtathletik-WM 2009.
Areal braucht Aufklärung
Der schwarze Sprinter Jesse Owens ist es, der mit seinen vier Olympiasiegen den Spielen von 1936 ein Gesicht gegeben hat und die Erinnerung dominiert. Die Bilder seiner Triumphe in den Wochenschauen weckten den Ehrgeiz und das Selbstbewusstsein junger schwarzer Amerikaner, wie Andrew Young am eigenen Beispiel beschrieb. Er wurde Bürgermeister seiner Heimat- und Olympiastadt Atlanta sowie Botschafter der Vereinigten Staaten bei den Vereinten Nationen.
Das Olympiastadion und seine Umgebung brauchen keinen Exorzismus. Das dürfte sich mit den Kirchentagen, die es beherbergte, und dem Einbau einer Stadionkapelle erledigt haben. Am 22. August wird Papst Benedikt XVI. in der Arena, wohl mit mehr als 70.000 Gläubigen, die Messe feiern. Doch das Areal mit seiner Ikonografie von Kampf und Führerkult verlangt nach Aufklärung.
Carl Diems schickt Jugend ins Verderben
Zwar blieb das Olympiagelände im Krieg weitgehend unbeschädigt. Dennoch verschwand das „einzige unzerstört in unsere Gegenwart ragende monumentale Relikt aus Hitlers untergegangenem Reich“, wie es Hilmar Hoffmann, der ehemalige Präsident des Goethe-Instituts, nannte, für Jahrzehnte aus der öffentlichen Wahrnehmung. Die britische Militärregierung nutzte es während der deutschen Teilung als Hauptquartier. Ohne öffentliche Debatte wurde der Architekt des Stadions, Werner March, 1961 damit beauftragt, den zerstörten Glockenturm neu zu bauen. Dabei stellte er die Langemarck-Halle originalgetreu wieder her, eine Weihestätte, die durch die Verherrlichung des Todes junger Soldaten im Ersten Weltkrieg dazu aufforderte, es ihnen gleichzutun.
Erst mehr als vierzig Jahre später fand Reinhard Appel mit der Erinnerung daran Gehör, dass Carl Diem, der Cheforganisator der Spiele von 1936, kurz vor dem Ende des Krieges im Olympiastadion Hitlerjungen ins Verderben schickte. 17 Jahre alt waren Appel, der spätere Intendant des Deutschlandfunks und Chefredakteur des ZDF, und seine Kameraden, als Diem sie auf den aussichtslosen Kampf mit den Worten einschwor: „Schön ist der Tod, wenn der edle Krieger für das Vaterland fällt.“
Wer je die zweieinhalb Meter große Skulptur des Zehnkämpfers sah, welche die Briten in das Foyer ihrer Militärregierung im Deutschen Sportforum hatten rücken lassen, wird nicht überrascht davon gewesen sein, dass die Redaktion der „Times“ aus London bei den Sommerspielen 1972 in München Leni Riefenstahl als Fotografin akkreditieren ließ. Sie hat mit ihren Olympia-Filmen „Fest der Völker“ und „Fest der Schönheit“ das Bild von den Spielen 1936 geprägt. Die Nationalsozialisten, von deren Parteitagen sie filmische Denkmale geschaffen hatte, gaben ihr alle personellen, technischen und finanziellen Mittel.
Die Spiele Riefenstahls
Nicht nur mit der weltweiten Direktübertragung im Radio und der Verdichtung des Geschehens in Film- und Fernsehbildern trat Olympia 1936 in die Moderne ein. Riefenstahl hat eine Bildsprache geschaffen, die im Sport bis heute gültig ist. Der Staffellauf mit dem olympischen Feuer hatte in Berlin Premiere – zuletzt nutzte ihn Peking, um sein Herrschaftsgebiet zu markieren, auch Tibet.