Zitat:Wer ist eigentlich dieser nach nationalen Wurzeln suchende Zuschauer, der da durchs Fernsehprogramm surft? Im ZDF versucht Guido Knopp mit "Die Deutschen II" Antwort zu geben. Und Sat.1 bietet ihm den Ken-Follett-Schinken "Säulen der Erde": Sinn? Egal! Nur schön muss es sein.
Da raunt sie wieder, die ächzende Stimme des TV-Sprechers Hans Mittermüller, und versucht, die schwellende Filmmusik mit pathetischen Sätzen zu überschwallen: "Wie wir wurden, was wir sind". Au weh, wie viele W's. Au weh, schon wieder Festspiele unter der Ägide des ZDF-Chefhistorikers Guido Knopp, auch wenn die jetzt unter dem Titel "Die Deutschen II" zu sehen sind und mit neuen Hauptdarstellern antreten: Von Samstag an in fünf Doppelfolgen um 20.15 Uhr und 21.00 Uhr auf ZDFNeo, in Einzelausstrahlung sonntags um 19.30 Uhr und dienstags um 20.15 Uhr im ZDF. Starring jetzt: Karl der Große, Friedrich II., Hildegard von Bingen, Karl IV., Thomas Müntzer, August der Starke, Karl Marx, Ludwig II., Rosa Luxemburg, Gustav Stresemann.
Neue Besetzung, alte Skepsis. Wer ist eigentlich der Wir, der zu Beginn jeder Folge mit dem Lasso eingefangen werden soll? Dieser Identitätsfreak, dieser nationale Wurzeln suchende Wurzelsepp, der längst ein durch die Programme surfender Zap(per) geworden ist?
Der erfahren hat, dass Geschichte im Fernsehen eine rechte Spaßbremse sein kann. Ach, wie oft wird im Gestern gestorben, wird gescheitert, ist alles schwer vergänglich, besonders der Ruhm. Dazu kommt im historisch seriösen Genre die Absicht der Autoren, der Zuschauer solle etwas aus der Geschichte lernen. Bloß was? Zerknirschung über frevelhafte Ahnen oder Stolz auf Tradition? Dankbarkeit, in besseren Zeiten zu leben, oder Trauer angesichts vertaner Chancen? Unterhaltungsverweigerung scheint programmiert, wenn das historische Fernsehen nicht so seicht wie möglich serviert.
Freies Baden in gestrigen Bildern
Wieder einmal führt die unsichtbare Hand des konkurrierenden Fernsehmarktes zu einer zeitnahen Konfrontation der Historienanbieter. Da gibt es die Guido-Knopp-Powerpoint-Beschulung im Leistungskurssound: Achte darauf, welchen Beitrag Karl der Große für die deutsche Identität geleistet hat! Nachher wird abgefragt.
Etwas später lockt das freie Baden in gestrigen Bildern. Sinn ist egal, nur schön muss es sein. Vom 15. November an lässt Sat. 1 mit der 18-Millionen-Dollar Verfilmung des Ken-Follett-Schmökers "Die Säulen der Erde" Ritter, Tod und Kirchenteufel auf den Bildschirm los. Dazu vier lange Teile lang Schwerterklirren, Kathedralenbauen, Foltern, lecker Hexen (Natalia Wörner pinkelt vom Tisch herab wider fiese Priester). Mittelalter als Mittel zum Selbstzweck. Nichts ist zu lernen, es kann einem erkenntnismäßig angenehm wurst ums Herz werden. Was, wieso, welcher König und welcher Graf Mitte des 13. Jahrhunderts Ritterräuber und Edelmanngendarm spielte - ziemlich egal und absolut identitätsirrelevant. Hauptsache, des modernen Menschen Fernsehklischees werden ins Mittelalter gespiegelt, wozu der Biedersinn der Soapwelt gehört, dass nur die Liebe zählt und der Optimismus des Fortschritts Grundlage des Lebens in allen Epochen gewesen sei.
Nur nebenbei gesagt: Optimismus war nicht das Zeitgefühl des Mittelalters. Man fühlte sich als Epoche des Niedergangs und hielt die Zeit eines Endes der Geschichte für nah. Die Liebe, vor allem solche, die Standesgrenzen überwindet und in der Ehe endet, war weitgehend unbekannt. Nur in der Sphäre beamteter Minnesänger experimentierten literarische Feingeister mit den poetischen Folgen eines die Sozialgrenzen sprengenden Gefühls. Ein Dienst am Wort, nicht an der Wirklichkeit.
Der Zuschauer mag das nicht so gerne sehen. Er fremdelt. Das Andersseins einer anderen Zeit macht Erschrecken, keine Selbstsicherheit.
Friedrich Nietzsche hat erkannt, dass alle Geschichte mit dem Leben und den Gefühlen der die Vergangenheit Beobachtenden zu tun hat. Schwächlinge, schrieb er in seinem Essay "Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben", würden sich am Antiquarischen berauschen, Einsame sich in der Vergangenheit Denkmäler suchen, weil die Gegenwart ihre Größe nicht abbilden könne. Nur das Kritische sei richtig: Her mit dem, was man für die Bewältigung der Gegenwart braucht, den Rest in die Tonne.
Gemeißeltheit in Geschichtsmarmor
"Die Deutschen II" ist zum Vergleich mit dem Schmökerverwerten eine ziemlich altmodische Form. Wer zusieht, wie andächtig Karl der Große als Karl der Kleine sich vom Herrn Papst auf die Idee einer Einheit von weltlicher und geistlicher Macht den Ring küssend verpflichten lässt, kann in Werner Biermanns Film eine moderne Sehnsucht nach Gradlinigkeit und Wertebefolgung vermuten. Selbst Karls brutaler Kampf gegen die Sachsen erscheint in dem Beitrag nicht nur als blinde Eroberungssucht, sondern als Befolgung eines inneren Auftrags, das Christentum auszubreiten.
Auch dem sächsischen Widerstand gegen die Auslöschung des Germanenstamms durch Karl, die mit der erzwungenen Taufe des Obersachsen Widukinds 785 endet, gewinnt der Film weiterführende tröstende Aspekte ab als Vorraussetzung für das Zusammenkommen in einer späteren deutschen Nation. Zufall, Verzweiflung, Erfahrung von Sinnlosigkeit und Willkür lässt der Film selten zu. Es ist in dieser Art der TV-Geschichtsschreibung die (Alt-)Klugheit der Spätergeborenen zu spüren, die wissen, wie die Sache ausgegangen ist. Solche Ex-Post-Sicherheit führt nicht wirklich hinein in die Untiefen der Geschichte, in das Live-Erlebnis Historie, wo insbesondere eine junge Generation die Offenheit einer Epoche erfahren will. Schließlich ist ihr Leben in der Gegenwart nicht von Sinn überflutet, sondern von Unüberschaubarkeit.